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Über die Goldmelisse und das Lernen über Heilkräuter

Die Goldmelisse und ich haben heute den Großteil des Tages zusammen verbracht hier auf der Rigi, der "Königin der Berge" und ich bin noch nie einem Heilkraut mit meinem Herzen so nahe gekommen.


„Alles, was man mit Liebe betrachtet, ist schön.“ sagt Christian Morgenstern.

Bei diesem Geschöpf ist das wahrlich einfach und ich gehe heute schon schlafen in der Vorfreude, sie morgen wieder zu sehen.

Wie sie da steht, ausdauernd am Berg, scheinbar Wind und Sonne gleichermaßen genießend, sie geht mir etwas übers Knie.

Für eine, die „Goldmelisse“ heißt, sieht sie mir erfreulich struppig und bunt aus.

Sie hat auch andere Namen, natürlich ihren förmlichen lateinischen, aber auch Bienenbalsam und Indianernessel. - das kommt daher, dass sie ursprünglich aus Nordamerika stammt und dort die Blätter von Indigenen als Heiltee verwendet wurden. Hauptsächlich gegen Erkältungen und Fieber, aber auch bei Unterleibsbeschwerden und Schlaflosigkeit. Wenn die Bienen aus dieser Blume Wachs und Honig gemacht haben, war das rot und besonders wertvoll und für Rituale vorbehalten, vorallem bei den Hopis im nördlichen Amazonas.

Sie wird auch Scharlach-Monarde genannt.

Das gefällt mir besonders gut.

Als Kind hab ich besonders gern das Märchen „das scharlachrote Blümelein“ gehabt.

Kennt ihr das?

Also kurzgesagt ist diese Pflanze eine Art Goldmarie im Indianerkostüm mit rotem Lippenstift und wallendem Haar.


Ich liebe alles, was ich über sie weiß.

Es sind wie süße Geheimnisse.

Alles, was ich über sie weiß, macht sie noch schöner für mich. Ich könnte sie immer noch weiter erkunden und beobachten, mich richtig versenken in sie.

Einen Goldmelissengeist entwickeln.

Eine Kammer in meinem Herzen, in dem nur sie wohnt, eine Scharlachmonardenkammer.

Im Grunde schenkt mir diese Blume eine tiefe Erinnerung an die Liebe, wie es geht, dieses in Beziehung treten, für ein anderes Wesen ganz offen sein.


Wir stehen also gemeinsam am Berg, die Monarde und ich, im Kräutergarten auf der Rigi, der Königin der Berge.

Die Bienen summen, die Kuhglocken läuten, der Wind fährt in Stößen in unsere rötlichen Mähnen.

Wir geniessen die gleiche Aussicht, den gleichen Augenblick, wir teilen diesen Moment auf der Erde, das Jetzt.


Ihre Stängel wippen im Westwind, kantig, wenig verzweigt, teilweise rosarot und lila überlaufen.

Ihr Blattwerk ist ebenfalls sehr adrett:

Duftend und gezahnt, hübsch zugespitzt.

Die Blätter duften: nach sauber und stark.

Bestimmt enthalten sie Thymol.ich werde nachlesen.

Ich sehe keine Samenstände, obwohl ich vermute, dass sich ihre Zeit dem Ende zuneigt, ich vermute, sie vermehrt sich über den Wurzelstock.

Die aufgereihten Scheinquirle tragen die purpurnen Blütenblätter,

die zu ernten ich heute hier bin.

Jede ist so zart, so aromatisch, wirklich ein Kunstwerk für sich.

Die Monarde ist eine Lippenblütlerin - ist das nicht wunderschön?

Ich muss an das Gedicht von Hilde Domin denken. Wie heisst es gleich….Kirschbaumsprache. Apfelblütenworte. Irgendwie so.

Ich möchte Scharlachmonardisch lernen, jedes in den Westwind gewisperte Wort von den Lippenblütlerlippen lesen lernen.


Wirklich, hier oben am Berg und dann noch in der Schweiz ist es so erdig und gleichzeitig luftig und hell, dass mein Bewusstsein so weit werden kann. Die Zeit streckt sich und das Erleben hat eine besondere Tiefe.

So lohnenswert, des Alltags staubige Kammer und das Altbekannte immer wieder mal zu verlassen und den Blick zu weiten.

Es grenzt an eine psychedelische Erfahrung, an ein tiefes Gebet, eine Erinnerung an die Liebe, eine Herzöffnung-

mir fehlen noch die Worte.

Wie ich hier draußen sitze, mit meinem benetzten Sammelkörbchen und diese Blume sich mir hinstreckt und ich Blüte um Blüte von ihr nehmen darf.

Ich bin so berührt von Schönheit, Hingabe, Zartheit, Dankbarkeit.

Dass ich hier sein darf.

Dass ich das fühlen und erleben darf.

Dass es Orte gibt; an denen mit Pflanzen ein solcher Umgang gepflegt wird.


Meine Intention hierher zu kommen, war über Pflanzen zu lernen.

Vielleicht ist es korrekter zu sagen:

VON Pflanzen zu lernen.

Ich denke an meine Oma und an ein, zwei Freundinnen und Kolleginnen, die das bestimmt

schon längst verstanden haben.


Es ist von außen vermutlich nichts von alledem zu sehen, außer dass eine Frau für ein gewisses Zeitfenster Blütenblätter zupft und in ein Körbchen legt.

Sie werden getrocknet und verarbeitet werden.

Zu Cremes, Gelee, Glacé, Limonade, Gin, Tee. Vielleicht sogar ein ganz besonders feiner Essig.


Ein vorbeikommender Wanderer fragt mich, ob das Safran sei. Ich lächle und verneine.

Später werde ich lernen, dass 1kg Goldmelissenblüten zu etwa 8000 CHF gehandelt werden.

Jetzt weiß ich, warum sie geläufig diesen Namen trägt.


Ich wünschte schon jetzt, ich hätte viel mehr Zeit. Wenn das die Weisheit der Monarde ist, was kann ich von Rose, Königskerze, Minze, Mohn noch lernen?

Und von den Menschen hier?


Die Berge haben mich schon so manches Wunder gelehrt und mir manch tiefe Erkenntnis geschenkt. Ich vermute,sie halten sich auch dieses Mal daran.



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